Wir kennen es alle: irgend ein Anlass von aussen führt dazu, dass uns der Kragen platzt. Dann reagieren wir meistens sehr emotional und können auch anklagend oder sogar ausfällig werden. Das muss nicht sein.

Lassen Sie mich etwas ausholen. Wenn wir explodieren, läuft immer auch ein alter Film mit, einer aus unserer Kindheit. Als kleine Kinder drückten wir sofort aus, wenn uns etwas nicht passte. Für die allermeisten von uns kamen darauf von aussen negativen Reaktionen. Und den wenigsten von uns hat man damals beigebracht, wie man gut und richtig mit Wut umgeht. Und schon gar niemand hat uns gesagt, dass Wut gut ist.

Wut ist gut, weil sie uns zeigt, dass etwas für uns nicht stimmt, nicht passt, jemand allenfalls eine Grenzüberschreitung begangen hat. Nur: Explodieren ist nicht hilfreich. Weil dann nämlich unsere Reaktion nicht adäquat auf die Situation passt und weil dann immer auch Vergangenheit mitläuft. – Wenn wir aber lernen, vor der Reaktion einen Moment innezuhalten, um herauszufinden, was genau uns denn ärgert, nicht passt, zum Kochen bringt, dann können wir das entsprechend mitteilen. Vielleicht ist es sogar dann ganz gut, einem Gegenüber klar mitzuteilen, dass dessen Verhalten eine Grenzüberschreitung ist und dass man diese nicht (mehr) tolerieren wird. Soweit der Idealfall… Dabei erkennen wir klar, was uns stört und können es situationskonform mitteilen.

Dazu noch eine wichtige Bemerkung: wenn wir sagen, «der oder die macht mich wütend», stimmt das nicht! Immer ich werde wütend, als Reaktion auf das Verhalten eines anderen. Also nicht der andere macht mich, sondern ich selbst werde wütend, frustriert, verärgert. Die gute Seite davon ist, dass ich meine Reaktion ändern kann, da diese ja vollkommen in meinem Einflussbereich ist.

Der Idealfall braucht aber einiges an Training. Oft kann man erst im Nachhinein die Gedankenarbeit leisten, was mir denn genau die Galle hochgehen liess. Dies ist zwar etwas weniger ideal, aber dennoch sehr nützlich. So wird man sich immerhin nachträglich klar, welches Verhalten eines anderen mir nicht passte. Vielleicht kann man dann das nächste Mal den Streitpunkt genauer benennen und mit dem Gegenüber klären.

Manchmal genügt aber Training alleine nicht. Wenn da jedes Mal unverarbeitete alte Geschichten mitlaufen, haben wir kaum die Kontrolle über unsere Reaktion und dann ist diese meistens unpassend, übertrieben, schlecht kommuniziert, unreflektiert, stark verallgemeinert und dadurch nicht selten auch unfair. Wenn man will, dass die alten Geschichten nicht mehr immer, automatisch und ungefragt mitkommen, so muss man diese loswerden. Es ist, wie wenn da etwas eingeschlossen wäre und man das befreien müsste. Die gute Nachricht: man kann. Und es ist sogar ziemlich einfach. Und man kann es jederzeit anpacken. Auch im fortgeschrittenen Alter. Ich z.B. war noch mit 50 ein ziemlich wütender Mann, explodierte oft und leicht. Heute, mit 68 bin ich meistens gelassen und kann mit Wut gut umgehen. Heute kann ich diese annehmen, ohne sie unterdrücken zu wollen, wie es meine Eltern und die nähere Umgebung mit mir gemacht haben. Ich werde mir dann bewusst, dass etwas für mich nicht stimmt, kann sogar fast immer unterscheiden, was alte Geschichte ist, die (immer noch mitlaufen will) und was tatsächlich mit der momentanen Situation zu tun hat. Dadurch kann ich die alte Geschichte alte Geschichte sein lassen und mich um das kümmern, was mich aus dem gegenwärtigen Moment stört. Wenn ich ruhig(er) bleiben kann, kann ich besser formulieren und auf eine Lösung hinarbeiten, statt mein Gegenüber für irgendetwas zu beschuldigen.

Wut war für mich ein grosses Thema. Ich kenne sie gut. Heute lebe ich aber nach dem Motto «Wut ist Gut!» und kann diese kanalisieren, sodass sie – fast immer – adressatengerecht zum Ausdruck kommt.

Wie bin ich so weit gekommen? In einer Anzahl von Sitzungen mit Therapeuten – am meisten im Kontext mit The Journey – konnte ich an meine alten Geschichten kommen, diese anschauen und verstehen und somit deren negative Potenz stark abschwächen.

Gerade jüngst hatte ich einen Klienten, über 70, dem seine Wut immer wieder in den Weg gekommen ist. Wir schafften es, den Deckel von jahrzehntelang unterdrückter Wut wegzunehmen, sodass sich diese nun endlich auflösen kann.

Es ist also nie zu spät, das Thema anzugehen. Und es ist ziemlich leicht…

 

Autor: Robert Lenzin

Robert Lenzin ist Journey-Therapeut.
Er lebt und arbeitet im Kanton Nidwalden
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Mehr über Robert Lenzin: www.lebensfabrik.ch

 

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